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  650 Jahre Ersterwähnung Lateinschule

  Grußwort - Herr Prof. Dr. Karl-Ernst Krüger


  Erinnerungen an eine Schulzeit in zwei Diktaturen

  Prof. Dr. Karl - Ernst Krüger, Cuxhaven

Thomas Mann schreibt: "Tief ist der Brunnen der Vergangenheit. Sollte man ihn nicht unergründlich nennen?"

Tief ist der Brunnen der Vergangenheit des Abitur-Jahrgangs 1948. Mehr als 70 Jahre liegt unsere Schulzeit zurück. Die Erinnerungen sind noch immer gegenwärtig und sie sind ambivalent.

Es war keine unbeschwerte Schulzeit, im Gegenteil, die Erinnerung ist überlagert von vielen widersprüchlichen, auch verstörenden Erlebnissen. Diese Erlebnisse waren so tiefgreifend, dass sie verfremdend bis ins Elternhaus, bis in den Schulalltag und auch bis in die Freizeit hinein wirkten. Es sind die Jahre von der Einschulung 1941 ins Friedrich-Wilhelm-Gymnasium bis zum Abitur 1948.

Zwei totalitäre Regime haben uns eine unbeschwerte Jugendzeit gestohlen und damit die Freiheit, die ein junger Mensch braucht. Zwei konträre Ideologien mit ihren verquasten Dogmen wurden uns aufgezwungen und wir erkannten am Ende, dass man uns belogen und verraten hatte. Wir erlebten eine Schulzeit in zwei Diktaturen.

Zunächst begann es, wie man heute sagen würde, ganz entspannt.

Mir erging es wie Fontane 1832, der seine Einschulung in unser ehrwürdiges Gymnasium wie folgt erlebt hat: "Es war beschlossen worden mich auf das Ruppiner Gymnasium zu bringen". Auch über meinen Kopf hinweg, ich war 1941 10 Jahre alt, wurde beschlossen mich auf das Ruppiner Gymnasium zu bringen. So traten wir 1930/1931 Geborenen den Weg zur Aufnahmeprüfung in das Friedrich-Wilhelm-Gymnasium an. "Civibus aevi futuri" so steht es über dem Portal und es galt uns, den Bürgern der kommenden Zeit. Während Fontane das altehrwürdige Gemäuer schon nach 1 ¼ Jahren wieder verlassen konnte, blieben wir 7 Jahre – und die hatten es in sich

Ich beginne mit dem Rückblick auf die Zeit von 1941 bis 1945.

1941 herrschte in Neuruppin, aus der Sicht der 10-Jährigen, Frieden. Der Krieg war weit weg und die Deutschen waren dabei die Welt zu erobern.

Deutsche Städte wurden noch nicht bombardiert und von Verlusten an der Front wurde selten berichtet. - Wir 10 jährigen wurden jetzt vom Staat vereinnahmt und mussten zum Jungvolk. Wir hatten zweimal in der Woche Dienst, es wurde in Uniform exerziert und man versuchte, uns allerlei Unverständliches aus der nationalsozialistischen Ideologie beizubringen. Den Lebenslauf des Führers Adolf Hitler konnten wir auswendig hersagen, wir kennen ihn heute noch. Die Einstellung der Klassenkameraden zu dieser Art Jugendbewegung war unterschiedlich, ich empfand den Dienst als eine unzulässige Einschränkung meiner persönlichen Freiheit. Neuruppin und seine traumhafte Landschaft aus Wald und Seen bot Jugendlichen viel mehr als dieser ideologische Unfug.

Die Sexta war die Klasse im Erdgeschoss rechts, die Fensterbänke des Klassenraumes waren so hoch angelegt, dass die Schüler nicht hinaussehen konnten. Das Katheder stand auf einem Podest, davor ein Spucknapf - für den Lehrer, versteht sich. Einer hat es gewagt Brausepulver einzustreuen, das ist ihm nicht gut bekommen. Es gab noch die Prügelstrafe und davon wurde auch regelmäßig bis zur Quarta Gebrauch gemacht. Schrank, Bänke zum Frontalunterricht gestellt, Wandtafel, das war es schon alles.

Betrat der Lehrer die Klasse so rief ein dazu bestimmter Schüler: "Achtung". Alle standen mit einem Ruck neben den Bänken, der Lehrer begrüßte uns mit "Heil Hitler" und erhobenem Arm, wir hatten ebenfalls mit "Heil Hitler" und erhobenem Arm zu grüßen.

Rückblickend muss ich sagen, das uns diese Zeremonie am wenigsten belastete, grüßten wir und grüßten doch alle Leute auf der Straße auf gleiche Weise.

Schon in den ersten Kriegsjahren wurden immer mehr junge Lehrer eingezogen, so dass wir überwiegend von älteren Herren unterrichtet wurden, die ihren ersten Amtseid noch auf den Kaiser geleistet hatten. Diese Lehrer standen in der Mehrzahl der Ideologie des Nationalsozialismus neutral bis ablehnend gegenüber und haben durch vorbildliche Haltung und hervorragenden Unterricht die Schüler und die Schule vor allzu großer Beeinflussung von außen geschützt. Hier ist besonders die Haltung des Direktors Dr. Werner Baege hervorzuheben, der, vielleicht geschützt durch seine Mitgliedschaft in der NSDAP, bis 1945 die Schule und Schüler vor zu starker ideologischer Belästigung bewahren konnte. Dr. Baege war eine moralische und fachliche Authorität. Eine große moralische Stütze waren für uns auch Lehrer wie Dr. Paul Meyer, Prof. Ernst Weisker, auch Dr. Fritz Haagen, die uns für ihre Fachbereiche begeistern konnten.

Im ersten Kriegsjahr versammelten wir uns, wenn ein ehemaliger Schüler an der Front gefallen war, zu einer kleinen Gedenkfeier auf dem oberen Flur im Hauptgebäude. Auf Veranlassung der Partei wurde diese Zeremonie bald beendet, da immer mehr ehemalige Schüler an der Front fielen und durch zu vieles Gedenken ein negativer Eindruck auf die Schüler befürchtet wurde. Wir sollten ja alle für Führer, Volk und Vaterland kämpfen, gläubig sein, nicht nachdenken und unser Leben hingeben, das Panier hieß ".. die Fahne ist mehr als der Tod", so sangen wir beim Jungvolk.

Mit Fortschreiten des Krieges wurde die Stimmung unter der Bevölkerung schlechter, die Bombenangriffe auf Berlin begannen. Neuruppin lag in der Einflugschneise der Bomberverbände und am Tage konnte man die Flugzeuge zu Hunderten im Verband, eine Welle nach der anderen, als metallisch glänzende Pünktchen am Himmel sehen. Die Luft vibrierte vom dumpfen Grollen der Motoren. Näherten sich die Verbände Neuruppin am Tag, so wurde in der Schule Voralarm gegeben. Der Hausmeister riss die Klassentür auf und rief "L 15", d.h. Luftlage 15, das bedeutete, in 15 Minuten erreichen die Verbände Neuruppin.

Für uns hieß das: Schulmappe ergreifen und so schnell man rennen konnte nach Hause in den Luftschutzkeller zu laufen. Meistens blieben wir in Neuruppin von Bombenabwürfen verschont. Doch am 20. April 1945 war der Flughafen an der Wittstocker Chaussee das Ziel. Die Schüler, die in der Nähe wohnten, konnten ihr Zuhause nicht mehr rechtzeitig erreichen. Wenige Meter von Ihnen entfernt explodierten die Bomben, ein Schüler und viele Soldaten, die gerade am Friedhof vorbei marschierten, starben.

 
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